bAV am Scheideweg Warum ein Umdenken nötig ist

Autor: Alexander Siegmund | Quelle: asscompact.de

bAV am Scheideweg: Warum ein Umdenken nötig ist

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Assekuranz

  1. August 2025

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In den vergangenen Jahren hat die Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge stagniert. Das

liegt nicht daran, dass sie ein gescheitertes Modell ist - sie wurde nur lange falsch gespielt.

Warum Versicherer, Gesetzgeber und KMUs endlich gemeinsam umdenken müssen.

Ein Artikel von Alexander Siegmund, Geschäftsführer der KPM Pensions & Benefits GmbH

Die betriebliche Altersversorgung (bAV) gilt als zweite Säule der Altersvorsorge in

Deutschland, und doch stagniert ihre Verbreitung seit Jahren. Gerade in kleinen und mittleren

Unternehmen (KMU) bleibt sie weit hinter ihrem Potenzial zurück. Nur rund ein Viertel der

Mitarbeitenden in Kleinstbetrieben hat Zugang zu einer bAV. Der Grund? Nicht ein Mangel an

Produkten, sondern ein Mangel an Struktur, Vertrauen und Verständlichkeit. Während die

Politik auf kosmetische Symbolpolitik setzt, bleibt die bAV ein sperriges System, das

Arbeitgeber:innen überfordert und Arbeitnehmer:innen verunsichert.

Dabei könnte die bAV zur Lösung vieler Probleme werden - wenn man sie denn endlich richtig

einsetzt.

Systemfehler, alte Rechenmodelle und falschen Anreize

Wer die Ursachen der geringen bAV-Verbreitung verstehen will, muss bei drei Akteuren

ansetzen: Gesetzgeber, Versicherungswirtschaft und Unternehmenspraxis.

https://www.asscompact.de/nachrichten/bav-am-scheideweg-warum-ein-umdenken-noetig-ist?page=komp

  1. Die Politik: Gute Absicht, falsche Ausführung

Die Bundesregierung und auch Arbeitsministerin Bärbel Bas versprechen die Stärkung der

Betriebsrente - mit Digitalisierung, Entbürokratisierung und besserer Portabilität. Doch

konkrete Maßnahmen bleiben aus. Vieles wirkt wie Symbolpolitik: Die geplante Anhebung der

Geringverdienergrenze ist richtig, aber reicht nicht. Denn nach wie vor fehlen:

ein echtes Auto-Enrolment mit Opt-out-Option statt Opt-in, unabhängig von

Tarifbindung,

der Wegfall der Schriftformerfordernis,

die rechtssichere Klärung der Mindestbeitragsgarantie bei der BOLZ,

die Abschaffung der Doppelverbeitragung bei Kranken- und Pflegeversicherung,

eine fairere Geringverdienerförderung, auch jenseits von klassischen

Versicherungsprodukten.

  1. Die Versicherungswirtschaft und die Kalkulation der Lebenserwartung

Viele der klassischen bAV-Produkte rechnen mit einer Lebenserwartung bis zum 130.

Lebensjahr. Dabei legt die durchschnittliche Lebenserwartung aktuell bei 83 Jahren. Das

Resultat: unnötig hohe Beitragssummen und sinkendes Vertrauen. Bei einer Zielrente von

1.000 Euro sind bei klassischen Versicherern bis zu 450.000 Euro Kapital nötig. Im Modell

smart pension hingegen reichen rund 240.000 Euro, aufgrund einer realitätsnahen

Kalkulation bis 94 Jahren. Der Unterschied kommt direkt Unternehmen und Beschäftigten

zugute.

  1. Der Mittelstand: Kein Produktproblem, sondern ein Umsetzungsdefizit

Besonders in KMUs fehlt es an personellen, fachlichen und zeitlichen Ressourcen, um sich

durch das Dickicht der bAV-Regelungen zu kämpfen. Viele Arbeitgeber:innen vermeiden das

Thema aus Unsicherheit, fehlender Transparenz und Übersichtlichkeit, oder weil sie

ausschließlich Produktverkauf erleben. Beratung wird zum Verkauf und die bAV damit zur

Blackbox.

Durch mehr Struktur bessere Produkte schaffen

Die bAV braucht keine neuen Etiketten - sondern endlich verlässliche Spielregeln und

einfache Umsetzungsmöglichkeiten:

Rechtsklarheit schaffen: Die beitragsorientierte Leistungszusage (BOLZ) braucht eine

gesetzlich definierte Mindestgarantie. Solange unklar bleibt, wie viel von den Beiträgen

wirklich sicher ist, wird Vertrauen verspielt.

Steuerrecht modernisieren: Der Rückstellungszins von 6% in § 6a EStG stammt aus den

1980ern - und gehört ebenso wie die Vervielfältiger aus dem Jahr 1946 bei

Unterstützungskassen auf ein marktnahes Niveau angepasst.

Versorgung statt Verkauf denken: Beratung muss unabhängig, zertifiziert und

verständlich sein. Nicht das Produkt, sondern die Versorgung der Menschen muss im

Zentrum stehen. Und hierzu gehört ebenso eine effiziente Kalkulation mit fairen

Lebenserwartungen und vollständiger Kapitalverwendung im Unternehmen, als eine

transparente Übersicht und Kommunikation für alle Beteiligten.

KMU durch Digitalisierung entlasten: Ein digitales bAV-Ökosystem mit standardisierter

Benutzerführung, flexiblen Schnittstellen und Förderzugängen kann den Mittelstand

erreichen. So wie es das Onlinebanking im Finanzbereich getan hat.

bAV und Aktivrente kombinieren: Wenn ab 2026 die Aktivrente kommt, muss § 6

BetrAVG angepasst werden. Nur wenn auch bei Teilrente eine Auszahlung der bAV

möglich ist, entsteht ein flexibler, planbarer Übergang in den Ruhestand. Andernfalls

bleibt die Aktivrente Symbolpolitik mit Blockadewirkung.

Fazit: Nicht mehr Produkte, sondern bessere Bedingungen

Die bAV ist kein gescheitertes Modell - sie wurde nur jahrzehntelang falsch gespielt. Wer

Altersvorsorge ernst meint, muss die Strukturen reparieren: steuerlich, rechtlich und

kulturell. Der Staat muss moderne Rahmenbedingungen schaffen, Versicherer müssen ihre

Kalkulationen der Realität anpassen, und Unternehmen brauchen einfache, faire Wege zur

Umsetzung. Denn: Die Altersvorsorge von morgen entsteht nicht im Versicherungsprospekt -

sondern im Zusammenspiel von Gesetz, Arbeitgeberverantwortung und echtem

Versorgungsgedanken.

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