bAV am Scheideweg: Warum ein Umdenken nötig ist
In den vergangenen Jahren hat die Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) stagniert. Das liegt jedoch nicht an einem gescheiterten Modell, sondern an einer falschen Umsetzung. Versicherer, Gesetzgeber und KMU müssen endlich gemeinsam umdenken.
Stillstand trotz Potenzial
Die bAV gilt als zweite Säule der Altersvorsorge in Deutschland – doch gerade in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) bleibt sie weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Nur etwa ein Viertel der Beschäftigten in Kleinstbetrieben hat Zugang zu einer bAV.
Die Ursachen liegen weniger in fehlenden Produkten, sondern in mangelnder Struktur, fehlendem Vertrauen und komplizierten Prozessen. Arbeitgeber fühlen sich überfordert, Arbeitnehmer verunsichert.
Dabei könnte die bAV ein entscheidender Teil der Lösung sein – wenn man sie endlich richtig gestaltet.
Systemfehler: Alte Modelle und falsche Anreize
1. Die Politik – gute Absicht, falsche Ausführung
Die Bundesregierung und Arbeitsministerin Bärbel Bas kündigen immer wieder an, die Betriebsrente zu stärken – durch Digitalisierung, Entbürokratisierung und Portabilität. Doch konkrete Schritte bleiben aus.
Was fehlt:
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Echte Auto-Enrolment-Lösung mit Opt-out, unabhängig von Tarifbindung.
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Abschaffung der Schriftformerfordernis.
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Rechtssicherheit bei der Mindestbeitragsgarantie der BOLZ.
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Wegfall der Doppelverbeitragung in Kranken- und Pflegeversicherung.
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Modernisierte Förderung für Geringverdiener, auch jenseits klassischer Versicherungsprodukte.
2. Versicherer – unrealistische Kalkulationen
Viele klassische bAV-Produkte kalkulieren mit Lebenserwartungen bis 130 Jahren – obwohl die durchschnittliche Lebenserwartung aktuell bei 83 Jahren liegt.
Das Ergebnis: zu hohe Beitragssummen, geringere Renten und sinkendes Vertrauen.
Ein Beispiel: Für eine Zielrente von 1.000 € benötigen klassische Modelle bis zu 450.000 € Kapital, während im Modell Smart Pension dank realistischer Kalkulation (94 Jahre) rund 240.000 € genügen.
3. Mittelstand – kein Produkt-, sondern ein Umsetzungsproblem
Gerade KMUs fehlt es an Zeit, Fachwissen und Ressourcen, um sich im bAV-Dschungel zurechtzufinden.
Viele Arbeitgeber vermeiden das Thema, weil sie Unsicherheit und Intransparenz erleben – oder weil Beratung häufig als Produktverkauf statt als Versorgung wahrgenommen wird.
Neue Struktur statt neue Produkte
Die bAV braucht keine weiteren Etiketten, sondern verlässliche Spielregeln und einfache Umsetzungsmöglichkeiten:
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Rechtsklarheit schaffen: Die beitragsorientierte Leistungszusage (BOLZ) benötigt eine gesetzlich definierte Mindestgarantie. Solange unklar bleibt, was wirklich sicher ist, fehlt Vertrauen.
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Steuerrecht modernisieren: Der Rückstellungszins von 6 % in § 6a EStG stammt aus den 1980ern – ebenso die Vervielfältiger von 1946 bei Unterstützungskassen. Beide gehören auf ein marktnahes Niveau angepasst.
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Versorgung statt Verkauf: Beratung muss unabhängig, zertifiziert und verständlich sein. Der Fokus liegt auf Versorgung, nicht auf Produktvertrieb. Dazu gehören faire Lebenserwartungen, transparente Kalkulationen und klare Kommunikation.
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KMU digital entlasten: Ein digitales bAV-Ökosystem mit standardisierter Benutzerführung, Schnittstellen und Förderzugängen könnte den Mittelstand nachhaltig erreichen – wie Onlinebanking im Finanzsektor.
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bAV und Aktivrente kombinieren: Mit der Einführung der Aktivrente ab 2026 muss § 6 BetrAVG angepasst werden. Nur wenn Teilrenten auch mit bAV-Auszahlungen kombinierbar sind, entsteht ein flexibler, planbarer Übergang in den Ruhestand.
Fazit: Keine neuen Produkte – bessere Bedingungen
Die bAV ist kein gescheitertes System, sondern wurde jahrelang falsch gespielt.
Wer Altersvorsorge ernst meint, muss die Strukturen modernisieren – rechtlich, steuerlich und kulturell.
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Der Staat: schafft klare, zeitgemäße Rahmenbedingungen.
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Die Versicherer: passen ihre Kalkulationen an die Realität an.
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Die Unternehmen: brauchen einfache, faire Wege zur Umsetzung.
Denn die Altersvorsorge von morgen entsteht nicht im Prospekt, sondern im Zusammenspiel von Gesetz, Arbeitgeberverantwortung und echtem Versorgungsgedanken.
Quelle: AssCompact.de – „bAV am Scheideweg: Warum ein Umdenken nötig ist“, August 2025.

